Sonntag, 24. November 2013

DIE ZEIT N° 48 / 2013 - Öko-Rollback - Die Menschheit verliert das Interesse am Umweltschutz

Das triffts dann leider wohl auf den Punkt .....

..................................................................................................
Öko war früher

Von den grünen Bekenntnissen der Menschheit ist wenig geblieben. Die Klimakonferenz in Polen zeigt es: Die Welt gibt erst mal auf

VON PETRA PINZLER UND FRITZ VORHOLZ

Angenommen, wir fänden heraus, dass ein Asteroid auf die Erde zurast, der am 3. Dezember 2073 einschlagen und bei dieser Gelegenheit 70 Prozent allen Lebens vernichten wird. Sicher würden unsere Regierungen sofort aktiv. Um das Unglück zu verhindern, würden sie die besten Wissenschaftler, Universitäten und Unternehmen mobilisieren. Und alle anderen damit beauftragen, das Überleben der Menschheit zu sichern – für den Fall, dass die erste Gruppe scheitert.

Mit dieser Geschichte füllt der britische Professor Stephen Emmott ganze Theater, sie ist Teil seiner Schocktherapie. Eigentlich ist Emmott Naturwissenschaftler in Diensten eines Großunternehmens. Er leitet ein Computerlabor von Microsoft. Dort hat er Millionen von Daten über den Zustand der Welt ausgewertet, akribisch und emotionslos. Seitdem ist Emmott sicher: Unsere Situation unterscheidet sich nur in zwei Punkten von dieser Fiktion. Wir haben kein Datum für die Vernichtung der Erde. Und deswegen kämpfen wir auch nicht ernsthaft dagegen.

Spinnt Emmott?
Grüner Aufbruch war einmal. Jetzt ist Ökorollback, ein Rückfall in die Vergangenheit


In dieser Woche verhandeln Regierungsvertreter aus aller Welt in Polen über den Klimaschutz. Bislang erfolglos. Dabei müssten sie sich noch um viel mehr als nur um das Klima und um den Anstieg des Meeresspiegels sorgen. Bedroht ist die gesamte Lebensgrundlage der wachsenden Weltbevölkerung: Böden, Wasser, Lebensräume. In bisher unbekanntem Ausmaß werden Meere verschmutzt, Äcker verweht, Lebewesen vernichtet. Schneller und schneller.

Grüner Aufbruch war einmal. Jetzt ist Ökorollback, ein Rückfall in die Vergangenheit.

Bei der Klimapolitik zeigt sich das beispielhaft. Da geben heute selbst einstige Vorreiter auf. Vergangene Woche hat die Regierung in Tokio verkündet: Der CO₂-Ausstoß des Landes soll, gemessen am Stand von 1990, bis zum Ende des Jahrzehnts nicht mehr um 25 Prozent sinken – er darf wieder zunehmen. Fukushima dient als Begründung, obwohl es längst Konzepte dafür gibt, Atomausstieg und Klimaschutz zu vereinen. Auch in Japan.

Polen, der Gastgeber der Klimakonferenz, verfeuert viel Kohle. Die USA setzen auf Reindustrialisierung durch billige Energie und fördern mit umstrittenen Methoden mehr und mehr Erdgas. Das verbrennt zwar sauberer als Kohle, auf Dauer dürfte der CO₂-Ausstoß der USA aber trotzdem wachsen. Die neue australische Regierung will die gerade eingeführte CO₂-Steuer wieder aussetzen, obwohl das Land schon jetzt unter den Folgen des Klimawandels leidet, unter Überschwemmungen und Hitzewellen.


Sogar Deutschland, selbst ernannter Ökochampion, sendet Signale des Rückzugs. So bremst Berlin die EU bei strengeren Abgasgrenzwerten für Autos. Und in den Koalitionsverhandlungen wird die Energiewende fast nur noch unter der Frage verhandelt, wie alles billiger werden kann. Selbst der Chef des Umweltbundesamtes bekommt da seine Zweifel. »Himmelfahrtskommando oder Zukunftsinvestition!«, das sei noch offen, twitterte Jochen Flasbarth. Bisher sieht es so aus, als gerate die Energiewende zum Himmelfahrtskommando.

Es ist absurd. Überall auf der Welt geben sich die Eliten grün. Trennen ihren Müll und kaufen Bio. Plastiktüten gelten als out. Neue Staubsauger dürfen in der EU nur noch wenig Strom verbrauchen. In China boomt die Elektromobilität. Nie zuvor haben so viele Menschen so viel über Umweltschutz nachgedacht. Und niemals so schnell so viel Umwelt zerstört.

Der Reichtum der Meere ist vergangen. Schon heute fänden Fischer immer weniger in ihren Netzen, sagt die Welternährungsorganisation.

Zu Lande rottet der Mensch Tiere und Pflanzen aus: 41 Prozent aller Amphibien, 33 Prozent der Steinkorallen und 25 Prozent der Säugetiere sind akut vom Aussterben bedroht.

Dramatisch ist der Verlust fruchtbaren Bodens. Das Welt-Boden-Informationszentrum hat ermittelt, dass im vergangenen Vierteljahrhundert rund ein Viertel der globalen Landfläche heruntergewirtschaftet wurde – verweht, vergiftet oder ausgelaugt. Um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, werden nun Wiesen, Moore und Wälder umgepflügt.

Ende vergangener Woche veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin Science das Ergebnis einer satellitengestützten Vermessung der Baumbedeckung. Zwischen 2000 und 2012 verschwanden netto 1,5 Millionen Quadratkilometer Wald. Das entspricht vier Mal der Fläche Deutschlands. In Brasilien wurde allein im vergangenen Jahr fast ein Drittel mehr Wald gerodet als im Vorjahr.

Umweltschutz schmälert kurzfristig die Renditen. Kaum eine Regierung will das ihrem Land zumuten
Als Präsident des Global Footprint Network fasst Mathis Wackernagel all diese Fakten regelmäßig zu einer Art Kontoauszug zusammen und errechnet daraus den ökologischen Fußabdruck der Menschheit. Danach waren in diesem Jahr bereits am 20. August alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die sich bei sorgsamer Nutzung regenerieren. Seither leben wir von der Substanz, und der Overshoot- Tag ist jedes Jahr ein wenig früher: 2003 war es noch der 22. September, 1993 der 21. Oktober.

Warum ausgerechnet jetzt so wenig gegen die Zerstörung getan wird? Weil der »politische Wille« fehle, das Ruder herumzureißen. Das jedenfalls war die Antwort einer Expertengruppe, die der UN-Generalsekretär zwanzig Jahre nach dem Erdgipfel von Rio de Janeiro um Rat bat.

Kein Wunder. Umweltschutz schmälert kurzfristig die Renditen. Ausgerechnet jetzt, da viele Länder unter den Folgen der Finanzkrise leiden, will das kaum eine Regierung ihrem Land zumuten. Also wird die Bewahrung der Schöpfung der Standortkonkurrenz geopfert. Deswegen setzen Amerikaner auf Fracking, holzen Brasilianer den Urwald ab, kippen Australier die Klimasteuer.

Man könnte das auch eine kollektive Enteignung nennen. Enteignet wird, wer heute schon unter Umweltschäden leidet, meist aber im Süden wohnt und sich kaum wehren kann. Enteignet wird aber auch die nächste Generation.

Man könnte es auch als falsch verstandene Marktwirtschaft bezeichnen, weil die Preise die ökologische Wahrheit nicht ausdrücken. Mehr Ökosteuern könnten das ändern. Aber wären damit noch Wahlen zu gewinnen? In Deutschland ist der Anteil von Umweltsteuern und -abgaben an den staatlichen Einnahmen zuletzt sogar gesunken.

Stephen Emmott, der Mann mit der Asteroiden-Geschichte, ist pessimistisch: »Ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten.«

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.